50 shades of headpain

Es soll ungefähr 250 verschiedene Arten von Kopfschmerzen geben und gefühlt habe ich sie fast alle. Migräneattacken nach Lehrbuch sind bei mir eher die Ausnahme. Stattdessen überrascht mich mein Gehirn auf immer neue Weisen mit Schmerzen und Ausfallerscheinungen, die meinen Neurologen sich nur noch zweifelnd am Kopf kratzen lassen.

Auf Instagram habe ich vor einiger Zeit angefangen, meine verschiedenen Kopfschmerzarten zu beschreiben. Dazu schrieben mir viele Betroffene, dass ihnen das geholfen hat, ihre Symptome überhaupt erst als Migräne zu erkennen.

Ich stelle hier 10 meiner verschiedene Kopfschmerzarten vor, die alle Migräne sind, auch wenn sie die klassischen Merkmale einer Migräneattacke aus dem Lehrbuch z. T. nicht mehr erfüllen.

Als ich noch gelegentlich von Migräne belästigt wurde, hatte ich ausschließlich die klassische Art von Attacken. 2018 jedoch, als sich die Migräne bei mir chronifiziert hat, nahmen Schmerzintensität und Häufigkeit immer weiter zu. Die schmerzfreien Phasen wurden immer kürzer und fielen schließlich ganz weg. Dafür wurden die Phasen zwischen den typischen Attacken mit allen möglichen anderen Kopfschmerzen aufgefüllt. Diese kommen und gehen, überlagern und verändern sich immer wieder bis heute. Was die “klassische Art von Attacke” aber überhaupt bedeutet, möchte ich zuerst beschreiben.

1. Der Klassiker

Der Klassiker zeichnet sich laut Lehrbuch durch einseitige, pulsierende Kopfschmerzen aus, denen zum Teil eine Auraphase vorangeht (meistens Sehstörungen). Begleitet wird das Ganze durch Übelkeit bis hin zum Erbrechen sowie Licht- und Lärmempfindlichkeit. Der Spaß dauert mindestens 5 bis maximal 72 Stunden und die Leute, die gerade in einer Migräneattacken hängen, wollen vor allem eins: sich ins dunkle Schlafzimmer legen und Ruhe haben. Nach 3 Tagen ist der Spuk spätestens vorbei und der/ die Patient*in schmerzfrei, bis nach einer gewissen Zeit das Ganze wieder von vorne losgeht.

2. Der Schraubenzieher

Die Charakteristik des Schraubenziehers besteht darin, dass er nicht pocht, sich aber ausschließlich auf einer Kopfseite (bei mir immer rechts wie auch die klassischen Attacken) befindet. Dabei fühlt es sich an, als würde eben ein Schraubenzieher vertikal in meiner Schädeldecke stecken und unterhalb des Auges wieder rauskommen.
Alternativ kann der Schraubenzieher auch in meiner Schläfe stecken und horizontal in den Schädel verlaufen.

Vorteil dieser Migräneform ist, dass sie ohne Begleiterscheinungen daherkommt und mich nicht völlig ausknockt. Es fällt nur alles sehr viel schwerer. Ich vergleiche das gerne mit einem Sack Blei, den ich zusätzlich mit mir rumschleppe und der den Alltag sehr viel anstrengender macht. Die Schmerzintensität liegt eher im Mittelfeld und der “Schraubenzieher” dauert bei mir selten länger als einen Tag am Stück.

3. Die Beule

Die Beule ist ein Kopfschmerz, der bei mir an wandernden Stellen auf der Kopfhaut auftritt und sich anfühlt, als hätte ich mir den Kopf gestoßen. Wenn ich auf so eine Stelle drücke, verstärkt sich auch tatsächlich der Schmerz. Meistens wird das Ganze von einem steifen und schmerzenden Nacken und einem Druck über Stirn und Augen begleitet, kann aber auch in Kombination mit anderen Migräneformen bei mir auftreten.

Auch hier pocht und pulsiert nichts und andere Begleiterscheinungen treten nicht auf. Die Beule ist bei mir eher selten zu Gast. Sie kann auch wochenlang gar nicht auftreten und dann wieder häufiger kommen.

4. Die Nackenstarre

Wie oft habe ich schon gedacht, ich hätte mich nachts irgendwie verlegen und davon einen steifen Hals bekommen.
Und dann gingen auf wundersame Weise die Nackenschmerzen mit einem Triptan weg oder verschwanden nach 2 bis 3 Tagen von alleine wieder. Ich habe es sogar schon erlebt, dass bei mir Schmerzen in der Lendenwirbelsäule oder Verspannungen im Kiefer mit einem Triptan weggegangen sind.

Viele Migränepatient*innen klagen über Nackenschmerzen und halten diese für den Auslöser von Migräneattacken. Natürlich können Nackenverspannungen zu einem erhöhten Muskeltonus in diesem Bereich führen und damit die nächste Attacke begünstigen. Tatsächlich ist es aber so, dass die Beschwerden bereits Teil der Migräneattacke selbst sind (manchmal auch im Sinne eines Vorboten).

5. Der Falschfahrer

Seitenwechsel bei den Migräneattacken kommen bei mir äußerst selten vor und wenn doch, dann meistens im Zusammenhang mit meiner Periode. Ich bin dann immer höchst irritiert, dass mein Gehirn überhaupt dazu in der Lage ist. Vor allem, weil mir gleichzeitig auch noch ein leichter Schmerz auf der gewohnten Seite erhalten bleibt. Nach einigen Stunden springt die Migräne dann wieder auf die gewohnte Seite zurück.

6. Das kaputte Auge

“Das kaputte Auge” ist vermutlich ein eher bekannter Vertreter in Sachen Migräne. Bei mir tritt dieser Schmerz immer auf meiner Migräneseite auf und meist in Kombination mit “dem Klassiker” oder “dem Bohrer”. Dabei fühlt es sich an, als würde mir das Auge von innen rausgedrückt, es würde ein spitzer Gegenstand im Auge stecken oder als hätte ich einen Pfropf auf dem Auge sitzen. Außerdem gibt es noch eine Version, bei der der Schmerz im Augenwinkel sitzt. Da der Trigeminusnerv auch im Augenwinkel einige Verästelungen hat, ist ganz klar, wer an dieser Stelle der Übeltäter ist.

Im Internet taucht oft der Begriff “Augenmigräne” auf, wenn es um einen Migräneschmerz geht, der im und um das Auge auftritt. Dieser Begriff wird mittlerweile in der Medizin nicht mehr verwendet und wird auch nicht (mehr) als eigenständige Migräneform angesehen.

7. Der Krampf

Dieser Kandidat fühlt sich wie ein wandernder Krampf unterhalb der Augenbraue an und kann bei Bewegung zu Schmerzverstärkung führen (muss aber nicht). Meistens entwickelt sich der Krampf aus einer abflauenden klassischen Migräneattacke oder dem “Bohrer” heraus und dauert selten länger als einen Tag am Stück. Ich habe oft das Gefühl, ich könnte durch drücken oder leichte Massage an der Schmerzstelle das krampfige Gefühl lösen. Funktioniert hat es leider noch nie.

8. Der Schraubstock

Für die Bezeichnung dieses fiesen Begleiters habe ich extra noch nachgesehen, ob ein Schraubstock auch wirklich das ist, was ich meine (ist es). Jedenfalls, der Schmerz ist hier einfach mal beidseitig, verläuft an- und abschwellend und wird von “der Nackenstarre” begleitet. Dabei fühlt sich mein Kopf an, als würde er von beiden Seiten zusammengedrückt.

Überraschung, dieser Zustand kann bis zu 3 Tage dauern. Wer also behauptet, Migräne müsse immer einseitig sein, sei hiermit eines Besseren belehrt.

9. Das Gespenst

Das es sich bei dem Gespenst um Migräne handelt, darauf hat mich mein Neurologe erst gebracht. Ich habe Tage, an denen ich regelrecht neben mir stehe und kein Kaffee dieser Welt daran etwas ändern kann. Ich komme schon kaum aus dem Bett, weil mich eine bleierne Müdigkeit kaum die Augen offen halten lässt. Dazu kommen Schwindel, Benommenheit, Ohrenrauschen, Herzklopfen, Muskelzuckungen und Frieren. Schmerztechnisch zeigt sich ein starker, konstanter Druck auf der Schläfe. Pochen oder pulsieren tut hier nichts.

Mein Neurologe hat mir erklärt, dass Migräne nicht unbedingt mit einer starken Schmerzphase einhergehen muss, sondern sich manchmal hauptsächlich auf das vegetative Nervensystem auswirkt. Zum Glück besucht mich das Gespenst meistens nur einen Tag. Wenn ich diesen abvegitiert habe, geht es mir am nächsten Tag dann meistens schon besser (und irgendwer anders ist zu Gast).

10. Die Entzündung

Die Entzündung folgt eigentlich immer an Tag zwei auf den Klassiker und wird unangenehmerweise von starker Übelkeit begleitet. Und zwar unabhängig davon, ob ich die Migräne am Vortag mit einem Triptan behandelt habe oder nicht. Dabei fühlt sich meine rechte Gesichtshälfte (also meine typische Migräneseite) von innen heiß und entzündet an und es tut eigentlich alles gut, was diese kühlt. Also zum Beispiel ein Spaziergang im kalten Nieselregen oder ein Coolpack an der Schläfe.

11. Der Bewegungsmuffel

Der Bewegungsmuffel ist bei mir neu hinzugekommen und eine Art verkappter Klassiker. Er zeichnet sich darin aus, dass der Kopfschmerz eigentlich nur dann vorhanden ist, wenn ich mich bewege. Bewegungen wie bücken, vornüberbeugen, headbangen usw. (also das, was als “Schmerzverstärkung durch Bewegung” beschrieben wird) löst starke Schmerzen aus. Wenn ich aber ruhig auf der Couch sitze und mich nur langsam durch die Gegend bewege, habe ich kaum eine Beeinträchtigung. Dauern kann das Ganze ebenfalls bis zu 72 Stunden und von Übelkeit begleitet werden, wie eine klassische Migräneattacke.

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Ich hoffe, dass ich mit diesem Artikel alle denjenigen helfen kann, die verunsichert sind, weil die Migräneattacken nicht mehr so verlaufen, wie man es sonst überall beschrieben findet. Gerade im Austausch mit anderen Betroffenen von chronischer Migräne habe ich erkannt, dass eben genau das charakteristisch für chronische Migräne ist, dass Attacken nicht mehr klassisch verlaufen.

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