Jahresrückblick 2020 oder auch “Was kratzt mich mein Geschwätz von gestern?”

Im September habe ich groß verkündet diesen Blog einzustellen, nachdem ich das ganze Jahr über keine Lust hatte zu schreiben. Jetzt sitze ich hier am 29.12.2020 und tippe doch wieder einen Jahresrückblick, weil die beschränkte Zeichenzahl von Instagram nicht reicht, ein Jahr zu beleuchten, was uns vermutlich allen als etwas Besonderes in Erinnerung bleiben wird.

Mein 2020 in einem Wort: WARTEN

Nicht nur, dass sich die halbe Welt zu Anfang und auch Ende des Jahres in einer Warteschleife Namens “Lockdown” befindet, weil ein Grippevirus eine globale Pandemie ausgelöst hat. Nein, eben diese Pandemie sorgte dafür, dass ich fast 10 Monate auf meinen im Januar 2020 behördlich angeordneten Rehaantritt warten musste.

Aber mal von vorne. Heimlich hoffe ich ja immer noch, dass die Migräne auf wundersame Weise von einen auf den anderen Tag einfach aufhört. So ein Jahreswechsel wäre da meiner Meinung nach eine gute Gelegenheit für. Aber auch der 01. Januar wurde wieder von meinem typischen mittelschweren Migränewischiwaschi begleitet und das sollte sich dieses Jahr auch nicht groß ändern.

Ende Februar und kurz bevor das Coronavirus das ganze Land lahmlegen sollte, machte ich noch einen Kurztrip nach Hamburg, bei dem ich natürlich sehr viel Migräne hatte. Worum es aber viel mehr ging, war mir diesen Ausflug überhaupt zugetraut zu haben. Alleine einen Zug zu buchen und die Fahrt zu einer bestimmten Zeit auch anzutreten, wäre ein halbes Jahr zuvor noch unmöglich gewesen.

Und dann kam eben der erste Lockdown und ich bin wie so viele, in einen Ausmiste- Back- und Umbauwahn verfallen. Ich habe also Bananenbrot gebacken, Klamotten und Bücher aussortiert und mir einen neuen Kleiderschrank sowie ein altes Stahlrennrad zugelegt.

Das Vorhaben, mit dem Rennrad etwas mehr Ausdauersport in mein Leben zu integrieren, hat leider nur mäßig funktioniert. Wahlweise war es zu warm, zu kalt oder zu windig und wenn das Wetter stimmte, hatte ich meistens zu stark Migräne. Ein paarmal war ich dann aber doch unterwegs und hoffe, dass es vielleicht nächstes Jahr dann öfter mal klappt.

Nach dem Lockdown war auch schon fast Sommer und Anfang August entschied ich ganz spontan, dass ich meinen “Sommerurlaub” bei meiner 400 km entfernt wohnende Freundin und ihrer kleinen Familie verbringen würde. Natürlich habe ich mir auch wieder viele Sorgen gemacht. Vor allem, ob ich die Migräne an einem fremden Ort einigermaßen gemanagt bekommen würde. Aber auf mich wartete ein eigenes Zimmer mit der Möglichkeit, mich jederzeit zurückziehen zu können und so hat auch dieser Urlaub dafür gesorgt, dass ich mir anschließend wieder etwas mehr zutraute.

Ein weiteres Highlight dieses Jahr, allerdings im negativen Sinne, war mit Sicherheit die 5-wöchige Rehabilitationsmaßnahme, die ich dann Ende Oktober antreten “durfte”. Ich hatte im Vorfeld schon so oft von Migränepatient*innen gehört, auf deren besondere Bedürfnissen in Rehakliniken überhaupt keine Rücksicht genommen wurde. Schlussendlich war ich dann so angespannt, dass sich schon ein paar Tage vor dem Aufnahmeterin wieder Panikattacken bei mir einstellten, obwohl ich damit seit Monaten keine Probleme mehr gehabt hatte.

In der Klinik selbst kam es dann auch wie es kommen musste. Von der ganzen Aufregung und dem straffen Therapieplan hatte ich schwere Migräneattacken, wegen derer ich dann komplett ausfiel, was wiederum dazu führte, dass ich von der Seite des Stationsarztes Druck bekam. Ich litt unter Schlafstörungen, fiel wieder zurück in eine depressive Stimmungslage, hatte Panikattacken und saß ständig heulend bei meiner Psychotherapeutin vor Ort und bat um Vermittlungsgespräche. Die Migräne demonstrierte mir beeindruckend was passiert, wenn ich in Stress gerate und ich war mir noch nie so sicher arbeitsunfähig zu sein, wie während der Rehazeit.

Ungefähr nach der Hälfte der Zeit und nachdem mein Behandlungsplan auf das absolute Minimum zusammengestrichen worden war (und unter massiven Einsatz von Triptanen und Schmerzmitteln), hatte ich mich immerhin soweit stabilisiert, dass ich nur noch halbe Tage ausfiel. Der Stationsarzt war dadurch zumindest halbwegs zufriedengestellt und ließ mich in Ruhe. Als beim Abschlussgespräch die Oberärztin allerdings anmerkte, ich würde ja “doch ziemlich oft” Triptane nehmen und ob ich mal über eine Medikamentenpause nachgedacht hätte, sind mir dann doch etwas die “Pferde” durchgegangen.

Ein Gutes hatte der Rehaaufenthalt dann aber doch und das war die örtliche Nähe zum Wohnort von Nina vom Blog kopflastig.blog. Nina und ich schreiben uns und telefonieren ungefähr seit Mai 2019 regelmäßig und sind mit der Zeit zu Freundinnen geworden. Wegen der Entfernung und unserer Migräneköpfe hatten wir uns aber bis zum Zeitpunkt der Reha noch nie persönlich getroffen. Das sollte sich im November dann aber endlich ändern und wir haben uns an zwei Wochenenden für lange Spaziergänge und (coronabedingt) Tee aus Thermoskannen dann endlich auch “in echt” getroffen.

*

Bevor ich anfing diesen Beitrag zu tippen, habe ich mir noch mal meinen letzten Jahresrückblick durchgelesen und ohne Zweifel war 2019 physisch und psychisch das Schlechteste Jahr, was ich jemals erlebt habe. Auch wenn ich 2020 weiterhin quasi täglich Migräne hatte, so fühle ich mich emotional zum Ende dieses Jahres deutlich stabiler. Nachdem ich aus der Reha zurückgekehrt bin, habe ich zum Glück relativ schnell wieder in meinen normalen Rhythmus gefunden und dadurch hat sich auch die Attackenintensität wieder etwas verringert. Hin und wieder bin ich sogar für einige Stunden schmerzfrei. Auch die Panikattacken sind wieder weniger geworden.

Während ich letztes Jahr zu dieser Zeit noch schwer mit meinem Schicksal haderte, ist die Migräne in diesem Jahr zu einem Teil von mir geworden, der eben eine besondere Pflege erfordert. Da in zwei Jahren keine einzige Migräneprophylaxe mir wirklich Erleichterung verschaffen konnte, ist mein Ansatzpunkt, mein überreiztes Nervensystem zur Ruhe zu bringen. Dafür habe ich mir dieses Jahr quasi den Hintern wundmeditiert, bin Kilometer um Kilometer spazieren gegangen, habe mich ausgeruht, wenn ich müde war und starke Schmerzen hatte und mich sanft gefordert, wenn es mir einigermaßen gut ging. Ich habe gemalt, gebastelt, gehäkelt, immer mehr meine Gefühle, Grenzen und Bedürfnisse anerkannt und angesprochen und wann immer es ging liebe Menschen um mich gehabt.

Ich habe angefangen mich anderen zuzumuten, auch wenn es mir nicht so gut ging. Kurz vor Weihnachten musste ich mich zum Beispiel bei der Verabredung mit einer Freundin erst mal eine halbe Stunde hinlegen, weil mich Übelkeit und Aura mal kurz aus dem Leben geschossen hatten. Sie saß währenddessen ruhig neben mir und hat Sudokus gelöst. Wie sehr ich mich in einer solchen Situation in der Vergangenheit geschämt hätte! Jetzt ist es mir zwar noch immer unangenehm, aber ich verabschiede mich nicht gleich wieder nach Hause, sondern warte ab.

Mein Vorsatz für nächstes Jahr ist deswegen erst einmal genau so weiter zu machen. Ich bin fest davon überzeugt, dass mein Körper mit der Zeit verstehen wird, dass er nicht gleich mit Totalausfall reagieren muss, sobald etwas Anspannung aufkommt.

In diesem Sinne wünsche ich allen Leser*innen einen ruhigen Rutsch ins neue Jahr im Kreise der engsten Vertrauten und einen guten Start in 2021.

Eure Indie

 

Schreibe einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.