Über mich

Hallo liebe*r Leser*in,

ich nenne mich im Internet “Indie”, bin Ende Dreißig und lebe seit dem Sommer 2018 mit chronischer Migräne.

Die ersten Migräneattacken in der Form, wie ich sie heute habe, hatte ich mit Ende zwanzig. Ich stand damals sehr unter Druck, da ich mir das Studium mit Hilfe von BAföG selbst finanzierte und deswegen möglichst in Regelstudienzeit durchkommen musste. Bewusster Umgang mit Stress? Fehlanzeige. Außerdem hatte ich mir zusätzlich eine ehrenamtliche Tätigkeit aufgehalst und noch einen Nebenjob. Als dann auch noch meine damalige langjährige Beziehung zu kriseln begann, schaltete mein Gehirn das erste Mal auf Notaus.

Bis ich die Diagnose “Migräne” erhielt, sollten allerdings noch einige Jahre vergehen. Obwohl mein Vater schon sein ganzes Leben unter Migräne mit Aura leidet, konnte ich meine eigenen seltsamen “Gesichtsschmerzen” erst einordnen, als ich zufällig in einer Zeitschrift in einem Artikel über Migräne meine Symptome wiedererkannte. Bis zu dem Zeitpunkt dachte ich, dass Migräne immer mit Sehstörungen (also einer Aura) und Übelkeit und/oder Erbrechen einhergeht, was bei mir alles nicht der Fall war. Was ich aber hatte, war ein einseitiger, pulsierender Kopfschmerz, der beim Vornüberbeugen stärker wurde und auch mal 2-3 Tage anhielt. All das wurde in dem Artikel beschrieben, also BINGO.

Mein Weg führte mich allerdings auch nach dieser Erkenntnis erst einmal nicht zu einer Fachärzt*in. Ich beendete fristgerecht mein Studium, hatte einen etwas holprigen Start in die Arbeitswelt und erst als wieder alles Mögliche an Stress zusammenkam und ich ca. einmal die Woche von der Migräne heimgesucht wurde, sprach ich mit meinem Hausarzt darüber und dieser überwies mich zu einer Neurologin. Die Ärztin diagnostizierte “Migräne ohne Aura”, überwies mich ins MRT zur Abklärung (was ich nicht machte) und verschrieb mir zur Prophylaxe einen Betablocker (den ich nicht nahm).

Der Stress wurde weniger, die Attacken nahmen ab, vielleicht habe ich zufällig auch die Pille zu dem Zeitpunkt abgesetzt und zur Schuldigen erklärt. Die Migräne rückte jedenfalls aus meinem Blickfeld und ich “vergaß” sie einfach wieder. Ich glaube, das klappte so zwei oder drei Jahre lang, in denen ich alle vier bis sechs Wochen mal eine Attacke am Wochenende hatte, die sich mit einer Ibu aber easy behandeln lies oder ich sie einfach auslag. Oft war auch Alkohol der Auslöser, aber ein richtiger Kater ist ja immer unangenehm.

Das Ganze “kippte” dann plötzlich Ende 2017. Ich hatte im Februar noch Neuseeland und im Oktober Island bereist ohne eine einzige Migräneattacke, hatte emotional einige Achterbahnfahrten hinter mir und war eigentlich immer irgendwie unterwegs. Mein Terminkalender war voll bis obenhin, ich hatte gerade entschieden eine Ausbildung zur Yogalehrerin im nächsten Jahr zu starten und auf einmal knockte mich jedes Wochenende eine Migräneattacke aus, sobald ich mal ein bisschen zur Ruhe kam. Aber nicht in der Intensität, wie ich es gewohnt war, sondern mit einer Macht, dass ich montags noch mit dicken Kopf wieder im Büro saß.

Am 01.01.2018 nahm ich dann das erste Triptan in meinem Leben, nachdem ich mir an Silvester zwei Gläser Weißwein genehmigte, was zusammen mit noch weiteren “Triggern” zu einer (wie ich sie nenne) “Millenniumsattacke” geführt hatte. Zu meiner Überraschung schlug das Triptan ein wie eine Bombe (im positiven Sinne) und ich weiß nicht, was ich all die Jahre gedacht hatte, aber erst da habe ich wirklich realisiert, dass ich Migräne habe.

Das Jahr begann ich dann erst einmal mit einem Krankenschein und einem zweiten Versuch bei der Neurologin. Dieses Mal legte ich mich auch brav ins MRT, löste das Rezept für den Betablocker ein und lies mir mehr von den Wundertriptanen verschreiben. Ansonsten machte ich weiter wie immer. Mein Terminkalender war rappelvoll, die Yogalehrer*innenausbildung fing an und ich trank weiterhin gelegentlich Alkohol. Ich wollte mir nicht eingestehen, dass es ein Problem gab und, oh Wunder, mit der Migräne wurde es natürlich schlimmer. Dazu kamen Nebenwirkungen durch den Betablocker. Ich versuchte weiterhin zu funktionieren, wollte an meinem Lebensstil nichts ändern, rannte zu zig Ärzt*innen auf der Suche nach dem einen Auslöser, wechselte die Prophylaxe, geriet aber immer mehr unter Druck und verbrachte erst recht jedes Wochenende im Bett.

Im Mai schaffte ich es noch bis zum Mittwoch mich arbeitsfähig zu halten, dann brach die nächste Attacke über mir rein. Ich nahm also in immer kürzeren Abständen Triptane und Schmerzmittel, um meine Arbeit irgendwie zu schaffen. Im Juli hatte ich dann einen Status Migraenosus (kurze Erklärung, das ist eine ungewöhnlich lange Migräneattacke, also länger als drei Tage, die nicht mehr auf Migränemedikamente reagiert). Damit einher ging auch ein psychischer Zusammenbruch und Ende. Seitdem bin ich krankgeschrieben. Im Sommer 2018 habe ich dann eine betreute Medikamentenpause gemacht, die leider nur kurzfristig eine leichte Verbesserung gebracht hat. Ein Wiedereingliederungsversuch in meinen Job scheiterte im Herbst 2018 nach 3 Wochen an einem erneuten Status Migraenosus.

2019 habe ich mich durch unzählig Prophylaxen gearbeitet. Die Meisten habe ich nicht vertragen. Was ich vertragen habe hat nicht gewirkt. Selbst die als Wundermittel angepriesene “Migränespritze” hat mir nur minimale Erleichterung verschaffen können. Mittlerweile nehme ich auch diese nicht mehr. Ich habe Anfang 2019 eine Psychotherapie begonnen (was übrigens die beste Entscheidung überhaupt war, ich weiß nicht wo ich sonst gerade wäre) und war in der Schmerzklinik Kiel zur multimodalen Schmerztherapie. Trotzdem habe ich bis heute so gut wie keinen schmerzfreien Tag mehr gehabt.

Mein Berufleben liegt weiterhin auf Eis und ich beziehe momentan nach langem bibbern und Zähne klappern eine Erwerbsminderungsrente, erstmal bis zum Sommer 2022.

Nichts desto trotz ist auch vieles besser geworden, was den Umgang mit meiner Erkrankung betrifft. Ich versuche mich z.B. mit so vielen positiven Erlebnissen wie möglich aufzuladen, damit genug Energie für die dunklen Tage da ist. Auch wenn das mal bedeuten kann eine Migräneattacke damit zu provozieren.

Durch die Migräne sind auch neue Menschen in mein Leben gekommen, von denen ich mich verstanden und geschätzt fühle. Bereits bestehende Freundschaften haben sich zum Teil noch vertieft, trotz all meiner Einschränkungen.

Trotz meiner Geschichte bin ich weiterhin überzeugt davon, dass es auch wieder besser werden wird. Die Frage ist halt einfach nur WANN.