Zurück zur Natur(heilkunde)?

Alternative Heilmethoden: Was ist dran an den Heilversprechen ohne wesentliche Nebenwirkungen? Können für eine chronische Erkrankung, an der sich die Schulmedizin manchmal die Zähne ausbeißt, ein paar Kräuter und Nädelchen die Lösung sein? Es folgt ein Selbsterfahrungsbericht.

Im Sommer 2018 ergab es sich, dass ich in einer Naturheilkundeklinik landete, um mich wegen der Migräne dort behandeln zu lassen. Hätte meine Krankenkasse keinen Versorgungsvertrag mit dieser Klinik, wäre ich vermutlich nicht mal auf die Idee gekommen, mit Nadeln meine Migräneattacken in den Griff bekommen zu wollen. Ein Versuch auf eigene Kosten mit Akupunktur vor einigen Jahren lief nämlich damals schon ins Leere. Und wenn ich ehrlich bin, glaube ich auch nicht an den ganzen Hokuspokus.

Um jetzt aber nicht unfair zu sein. In der Klinik stehen neben Behandlungen wie Akupunktur auch Entspannungsverfahren und Ausdauersport auf dem Programm. Es kommen also auch bewährte Verfahren zum Einsatz und man wird dort zur aktiven Selbstfürsorge angeregt. Ich habe dort z. B. den Einstieg in eine regelmäßige Meditationspraxis geschafft und auch wenn das die Migräne bei mir nicht besser macht, wirkt sich das auf mein allgemeines Wohlbefinden trotzdem positiv aus. Zudem war ich zu dem Zeitpunkt auch hochgradig enttäuscht von den Angeboten der Schulmedizin und nach zwei gescheiterten Prophylaxeversuchen und einem Medikamentenübergebrauchskopfschmerz nicht offen für weitere medikamentöse Experimente.

Was ich hier nun aufliste, sind all die Dinge, die ich während der Zeit in der Klinik kennenlernen konnte und zum Teil auch auf eigene Kosten “ausprobiert” habe. Wirklich geholfen hat mir tatsächlich nichts davon und ich würde auch nichts davon weiterempfehlen.

Es ist aber ein ganz gutes Beispiel dafür, wie Menschen mit chronischen Erkrankungen irgendwann aus Verzweiflung Dinge probieren, auf die sie sich sonst nie eingelassen hätten. Und wie leicht es selbst ernannte Wunderheiler haben aus dem Leid anderer Kapital zu schlagen. Daran ist m. E. auch im gewissen Maße unser Gesundheitssystem schuld, in dem sich Ärzt*innen nicht genug Zeit für ihre Patient*innen nehmen können.

1. Akupunktur

Ich hatte ungefähr 10 Akupunkturbehandlungen nach traditioneller, chinesischer Medizin (TCM). Ich konnte leider keinen Effekt feststellen, außer einem zweiwöchigen Bluterguss, als ein Gefäß getroffen wurde und der ein oder anderen getriggerten Migräneattacke, durch Nadeln in Stirn und Schläfen.

2. Neuraltherapie nach Huneke

Ich habe eine siebentägige Stoßtherapie mit Procain über die Vene bekommen und war anfangs auch der festen Überzeugung, dass sie mir helfe. Leider wurde ich eines Besseren belehrt, als ich ein paar Wochen später, nach einer solchen Infusion, eine Migräneattacke hatte. Ich frage mich bis heute, ob es eigentlich gesund ist, ein Lokalanästhetikum im Blutkreislauf zu haben.

3. Pestwurz und Mutterkraut als Prophylaxe

Mit einem entsprechenden Kombipräparat habe ich letztes Jahr gleich zwei Versuche gestartet. Beide Versuche dauerten drei Monate und waren ohne nennenswerte Erfolge. Zu Pestwurz gibt es sogar eine Studie, die die Wirksamkeit zumindest ansatzweise belegt. Das mag bei einer episodischen Migräne vielleicht noch funktionieren. Als Chroniker kann ich nur sagen: Spar dir das Geld und kauf dir davon lieber Magnesium. Dafür gibt es mehr Wirknachweise in Studien.

4. Weidenrinde

Weidenrinde soll angeblich wie Aspirin wirken. Zugegeben wirkt auch Aspirin bei mir nicht bei Migräne. Ich weiß also nicht, was ich erwartet habe. Aber Magenkrämpfe hatte ich davon.

5. Magnesiumöl

Da ich anfangs Probleme hatte meinen Darm an eine regelmäßige Magnesiumzufuhr zu gewöhnen, dachte ich mit Magnesiumöl den Wirkspiegel noch ein bisschen pushen zu können. Neulich las ich, dass Magnesium überhaupt nicht über die Haut aufgenommen werden kann. Soviel also dazu.

6. Nadelreizmatte (Akupressur)

Hier gilt: Nur die Harten kommen in den Garten. Eine Nadelreizmatte in den Nacken oder oberen Rücken gelegt soll angeblich Kopfschmerzen und Migräne deutlich verbessern. Auch im Akutfall. Ich habe wochenlang prophylaktisch und auch während diverser Attacken auf einer solchen Matte gelegen, ohne Verbesserungen diesbezüglich zu spüren.
Im besten Fall hilft die Matte noch ein wenig gegen Verspannungen, weil die Nadeln die Durchblutung anregen.

7. Gua-Sha- und Schröpfkopfmassage

Glaubt man der Naturheilkunde, soll die Gua-Sha- und/ oder Schröpfkopfmassage gegen die ungeliebten Nacken- und Schulterverspannungen helfen, die wiederum zu häufigen Migräneattacken führen. Richtig ist, beide Methoden helfen gegen Verspannungen. Falsch ist, dass die Verspannungen zu Migräne führen. Es ist nämlich genau umgekehrt: Durch die Migräneattacken verspannt sich zusätzlich die Nacken und Schultermuskulatur. Ich habe einige Zeit lang wöchentlich eine Gua-Sha über mich ergehen lassen. Dabei wird mit einem stumpfen Gegenstand die Haut ausgestrichen, bis es zu Einblutungen kommt. Sieht dramatisch aus und ist auch nicht besonders angenehm. Geholfen hat es, wie zu erwarten, nicht gegen Migräne. Ich nutze mittlerweile allerdings gerne die Schröpfkopfmassage, um meine Muskulatur im Schulterbereich etwas zu lockern.

8. Theta Healing

Das Theta Healing ist eine Meditationstechnik, bei der die sogenannten Theta Hirnwellen (die gibt es auch wirklich, eine hübsche Sinuskurve auf dem EEG) erzeugt und Selbstheilungskräfte aktiviert werden. Die Erfinderin der Methode soll damit sogar ihre Krebserkrankung in kürzester Zeit geheilt haben. Grundsätzlich halte ich sehr viel von Meditation, deswegen war ich durchaus offen es mal auszuprobieren. Im Grunde genommen ist das Ganze aber nicht mehr als eine Phantasiereise.

9. Osteopathie und Chiropraxis, Triggerpunktbehandlung

Viele schwören drauf und wenn ich ein muskuläres Problem habe, mögen Osteopathie und Co. auch gut helfen. In Bezug auf die Migräne, hätte ich von einer Woche Urlaub an der Nordsee (und die wäre was die Kosten für die Behandlungen betrifft durchaus drin gewesen) bestimmt mehr gehabt. Aber immerhin weiß ich jetzt, dass meine Hüfte schief steht und nicht meine Beine ungleich lang sind.

10. CMD-Behandlung und DIR Schiene

Ich habe eine nicht zu verachtende Kiefergelenksfehlstellung auf der rechten Seite, wo auch in 99 % der Fälle die Migräne wütet. Außerdem presse ich nachts die Zähne aufeinander und habe ein Rauschen auf dem rechten Ohr. Der Zusammenhang zur Migräne erschien schlüssig, und da das DIR-Schienensystem das angeblich einzig gut funktionierende auf dem Markt ist (und natürlich auch das teuerste, was die Krankenkasse nicht zahlt), habe ich also vermeintlich in meine Gesundheit investiert, anstatt wie eigentlich geplant, in ein neues Fahrrad. 5 Monate mit dieser Schiene und diverse Manualbehandlungen beim Physiotherapeuten (die auch gerne mal getriggert haben) später hatte ich noch immer jeden Tag Migräne und biss Löcher in die teure Schiene. Einzig mein Kiefergelenk steht jetzt perfekt ausgerichtet. Ob das aber die Investition wirklich wert war? Ich bin nicht sicher.

11. Zucker, Koffein, Histamin, Gluten, Milch, Kohlenhydrate, basische Ernährung, Fasten, Intervallfasten (ich könnte noch ewig weiter aufzählen)

Das Thema Migräne und Ernährungsmythen erfordert eigentlich einen eigenen Blogpost. Zucker, Koffein, Histamin und Kohlenhydrate sollen angeblich Migränetrigger sein, Milch soll Entzündungsprozesse im Körper fördern. Die Lösung ist also sich vegan, zucker- und kohlenhydratfrei zu ernähren und das rote Gemüse wegzulassen. Am besten also einfach Nulldiät an 365 Tagen im Jahr. Irgendwie muss ich dabei an den Suppenkasper denken, denn wenn ich tot bin, habe ich garantiert keine Migräne mehr. Da es in meinem Leben mal eine Phase mit einer gewissen Ernährungsproblematik gab und ich eh am Untergewicht kratze, ist für mich das Thema Fasten oder Intervallfasten eigentlich gar keines. Berichte über Wunderheilung durch Fastenkur sind allerdings mehrfach im Internet zu finden und auch in besagter Naturheilkundeklinik ist das Thema die Universallösung für alles, was mit Schmerzen zu tun hat. Ich kann mir nicht helfen, aber ich kann mir auch einfach nicht vorstellen, dass es für ein angeschlagenes Nervensystem noch gut ist, in den Verhungerungsmodus versetzt zu werden. Aber das ist nur meine persönliche Meinung. Ich bin kein Arzt. Ich habe es jedenfalls mal länger ohne Tomaten, Süßigkeiten und Koffein probiert und keine nennenswerten Verbesserungen festgestellt. Ich habe aber auch vorher nicht jeden Tag literweise Cola getrunken oder fünf Tafeln Schokolade gegessen. Das Geld für einen Histamintest ist eins der wenigen Dinge, die ich mir übrigens mal gespart habe (für Nudeln mit Tomatensoße und Sahnetorte).

12. Yoga

Ich LIEBE Yoga. Ich habe sogar eine angefangene Ausbildung zur Yogalehrerin. Yoga hilft ja angeblich für oder gegen alles. Die Erfahrungsberichte über Migräneheilung oder massive Verbesserungen durch Yoga werden durch die Medien getrieben, wie die neueste Sau durchs Dorf. Es gibt sogar eine Studie, die belegen soll, wie eine kleine Zahl von Migränikern ihre Attackenfrequenz und Intensität um locker die Hälfte reduziert hat. Ich muss allerdings ganz schön was falsch gemacht haben, dass sich, obwohl ich schon seit einigen Jahren regelmäßig Yoga mache, die Migräne trotzdem chronifizieren konnte.

13. CBD Öl

Da CBD Öl momentan ja in aller Munde (haha) ist, habe ich es natürlich auch selber damit probiert. Getreu dem Motto viel hilft viel habe ich auch direkt in eine höhere Dosierung mit 10 % Cannabidiol investiert. Leider habe ich wirklich NULL Effekt bei mir spüren können. Nicht mal besser geschlafen habe ich davon und gegen Menstruationsschmerzen hilft es mir auch nicht.

2 Kommentare bei „Zurück zur Natur(heilkunde)?“

  1. 🙂
    Indie, Deine Artikel sind toll. Bei diesem hier musste ich (als Leidensgenossin) echt lachen (vielleicht werde ich von all den Schmerzen auch einfach nur zynisch).
    Ich kann Dir bei allem beipflichten.
    Übrigens: ich war früher Yogalehrerin und yogamäßig sehr aktiv. Mittlerweile praktiziere ich kaum noch selbst (obwohl ich die Bewegungen liebe), weil ich nach den vielen Armstützen und dem ganzen hoch und runter … na, was wohl … Migräne bekomme.
    Viele Grüße
    Sara
    P.S. Du solltest mehr Kommentare bekommen.

    1. Hallo Sara,
      Danke für deinen Kommentar. Lachen ist absolut erlaubt über den ganzen Quatsch 😉
      Das mit dem rauf und runter beim Yoga und davon dann Migräne kenne ich. Meine Lösung heißt momentan Yinyoga (vom liegen hab ich wirklich noch nie Migräne bekommen) oder selber praktizieren. Da kann ich die Intensität einfach besser steuern. Aber wem erzähle ich das, wenn du selber Yogaleherin bist 🙂

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