Ein Piercing gegen Migräne. Wie soll das funktionieren?

Da ich immer mal wieder auf das Migränepiercing angesprochen werde (Kennst du das? Hast du das schon probiert?), dachte ich mir, vielleicht ist es an der Zeit das Thema einmal näher zu betrachten. Was es damit auf sich hat und was ich persönlich davon halte, erfährst du nach dem klick.

Beginnen wir einmal mit den Fakten. Das sogenannte Daith Piercing wird im Ohr gestochen und zwar durch den dicken Knorpel oberhalb des Gehörgangs. By the way, eine wirklich ziemlich üble Stelle, die mehrere Monate benötigt, um zu verheilen. Zum Vergleich, ein Piercing im Zungenbändchen verheilt innerhalb von zwei Wochen. Das Daith Piercing wurde übrigens nicht extra zur Migränetherapie erfunden, sondern erfreut sich in der Piercingszene schon lange der Beliebtheit. In den 90er Jahren, als Piercen salonfähig wurde, hat es dann seinen Namen erhalten. Als “alternative Methode” gegen Migräne kursiert es etwa seit 2016 durch deutsche Medien und Foren. Der Hype schwappte von Amerika zu uns nach Deutschland.

 

Betrachten wir als Nächstes die behauptete Wirkweise gegen Kopfschmerzen und Migräne. Diese wird so erklärt, dass sich in der Nähe der Einstichstelle Punkte befinden, die in der Akupunktur gegen Kopfschmerzen helfen sollen. Das Ganze soll dann sozusagen eine Dauerakupunktur sein.

Dieser Erklärungsversuch stellt einen vor die Frage, ob Akupunktur eigentlich überhaupt gegen Migräne wirkt. Bisherige Studien haben eher ein “jein” ergeben. Manche Menschen haben eine Verbesserung, es ist aber eigentlich völlig egal wo die Nadeln hingestochen werden. Die positiven Effekte lassen sich daher eher über die Zuwendung der Behandler*in und den Placeboeffekt, als über die Nadeln selbst erklären.

Füttert man darüber hinaus eine Suchmaschine mit dem Wort „Abbildung Ohrakupunktur“, findet man heraus, dass das Ohr die Organe des gesamten Körpers in Form eines auf dem kopfstehenden Embryos abbilden soll. Die Zonen für den Kopf befinden sich dadurch am Ohrläppchen, wohingegen an der Stelle des Daith Piercings sich die für Niere, Leber und Magen-Darm Trakt befinden. Dies deckt sich auch mit meinen eigenen Erfahrungen mit der Ohrakupunktur, wobei mir die Nadeln vor allem ins Ohrläppchen gesteckt worden sind. Aber „in der Nähe von“ ist bei den Abmessungen eines Ohrs ja quasi alles.

Wenn ich mir das so betrachte, erscheint mir der Wirkmechanismus nicht besonders schlüssig und es drängt sich der Verdacht auf, dass hier einfach nur mal wieder mit Kranken Geld gemacht werden soll. Dass es Internetseiten gibt, die über das Migränepiercing berichten als wäre dessen Wirkweise erwiesen (und alle, die was anderes behaupten, wären von der bösen Pharmaindustrie gekauft), macht es nur noch schlimmer. Neulich las ich zum Beispiel in einem Forum von einer Person, die mehrere hundert Kilometer zu einem bestimmten Piercer gereist ist, der behauptet hat, nur er könne das Migränepiercing ganz genau stechen. Geholfen hat es der Person übrigens trotzdem nicht. Solche Geschichten lösen wirklich Zustände bei mir aus. 

Fassen wir also zusammen. Schon mit gesundem Menschenverstand betrachtet, erscheint es mir ziemlich unwahrscheinlich, dass ein Daith Piercing irgendeinen Einfluss auf Kopfschmerzen und Migräne hat. Wie ein Loch im Ohr eine neurologische Erkrankung überlisten soll, ist mir mit meinem fehlenden Glauben an Magie einfach komplett schleierhaft. Darüber hinaus gibt es auch keine einzige wissenschaftliche Studie dazu. Selbst eine positive Wirkung von Akupunktur auf Migräne ist umstritten. Genauso gut könnte ich also behaupten, dass Schläge mit dem Hammer gegen die Stirn Migräne lindert. Wenn ich das lange genug im Internet erzähle, werden sich mit Sicherheit Menschen finden, die das ausprobieren werden irgendwer findet sich bestimmt, dem oder der das dann zufällig hilft.

Zum Weiterlesen empfehle ich noch einen Artikel, der sich mit dem Daith Piercing und Placeboeffekt beschäftigt und bereits 2016 erschienen ist (hier geht’s zu dem Artikel auf spektrum.de).

2 Kommentare bei „Ein Piercing gegen Migräne. Wie soll das funktionieren?“

  1. Wow, interessanter Beitrag zum Thema Piercing gegen Kopfschmerzen. Ich denke, es wäre nicht schlecht mal eine direkte Umfrage dazu zu starten und dann zu sehen, ob das Piercing an dieser Stelle auch wirklich geholfen hat. Weiter so! Schön, dass das Thema mal aufgegriffen wurde.

    1. Hallo Miggi,
      eine Umfrage alleine wäre nicht repräsentativ, weil damit der Placeboeffekt nicht ausgeschlossen wäre.
      Dafür bräuchte es eine wissenschaftliche Studie. Die kann es aber nicht geben, weil man Akupunktur logischerweise nicht gegen Placebo testen kann.
      Was meine eigenen Umfragen betrifft, kenne ich niemanden mit viel Migräne, dem oder der das geholfen hat.

Schreibe einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.