Botox als Prophylaxe

Ein Wortwitz: Die Tatsache, dass Botox als Migräneprophylaxe eingesetzt wird, sorgt gerne mal für hochgezogene Augenbrauen bei Nichtbetroffenen. Alle Infos zu Botoxparty auf Kassenrezept gibt es in diesem Beitrag.

Zunächst, Botox hat in einer groß angelegten Studie nur bei Patient*innen mit chronischer Migräne einen Effekt über Placebo erreichen können. Deswegen übernehmen die Krankenkassen auch nur für diese Patient*innengruppe die Kosten.

Ich hatte anfangs wirklich Angst vor der Botoxbehandlung, nicht zuletzt, weil auch hierüber die absoluten Horrorgeschichten im Netz kursieren. Angefangen von Ohnmachtsanfällen in der Praxis, über Kompletteskalation der nächsten Attacke, hängende Augenlider und 12 Wochen höllische Nackenschmerzen. Als meine Migränekarriere anfing, hätte ich mir erst recht nicht vorstellen können, mir um die dreißig Spritzen in den Kopf jagen zu lassen. Da empfand ich eine Blutabnahme schon als Zumutung. Aber man stumpft mit der Zeit wirklich ab und im Vergleich zu einer ausgewachsenen Migräneattacke verblassen die meisten anderen Schmerzen. Vor allem, wenn diese nur vorübergehend sind.

Nebulös erschien mir lange auch die Möglichkeit überhaupt an solch eine Behandlung mit Kostenübernahme durch die Krankenkasse zu kommen. Die Lösung ist hier aber, wie sich herausstellte, eigentlich ganz einfach. Wenn von der behandelnden Fachärzt*in dokumentiert wurde, dass vier andere Prophylaxen aus unterschiedlichen Wirkstoffklassen nicht gewirkt haben, nicht vertragen wurden oder kontraindiziert sind, kann diese entscheiden, dass jetzt Botox als nächste Prophylaxemaßnahme ausprobiert wird und im besten Fall auch selbst durchführen. Anderenfalls kann die Fachärzt*in die Patient*in an eine Botoxsprechstunde überweisen. Diese Sprechstunden gibt es in Unikliniken und Schmerzzentren und die machen da den ganzen Tag nichts anderes als Botox gegen alles mögliche (z. B. auch Spastiken) zu spritzen.

In meinem Fall habe ich das Glück, dass mein behandelnder Neurologe das selber macht. Ich habe einfach ein Rezept für den Wirkstoff bekommen und mit einer Zuzahlung von 20 Euro in der Apotheke abgeholt.

Gespritzt werden dann nach einem bestimmten Schema 155 bis 195 Einheiten (es heißt ganz korrekt “Mauseinheiten”, was ich sehr lustig finde) in Stirn und Schläfenbereich, seitlich an Vorder- und Hinterkopf, im Nacken und an den Schultern. Die genaue Lokalisation lässt sich hier nachlesen (der Link führt auf ein pdf Dokument der Schmerzklinik Kiel, mit der ich weiterhin in keinem Zusammenhang stehe).

In der Realität werden übrigens 150 oder 200 Einheiten verspritzt. Der Hersteller produziert nämlich fuchsigerweise nur Medikamentengrößen mit 50 oder 100 Einheiten und keine Ärzt*in wird einem für 5 Einheiten eine zusätzliche 50er-Größe verschreiben. Der reine Medikamentenpreis für 200 Einheiten liegt übrigens bei rund 800 Euro. Ggf. kann man durch einen Re-Import noch ein bisschen sparen. Das Honorar für die Ärzt*in kommt dann noch dazu. Ich erwähne das, falls jemand überlegt die Kosten selbst zu tragen.

Ich habe jetzt schon häufiger gelesen, dass vereinzelt Neurolog*innen oder auch Schönheitschirurg*innen die Botoxbehandlung anbieten, dann aber weniger Einheiten gespritzt werden oder an ganz andere Stellen. Wenn du auf der Suche nach einer Ärzt*in dafür gerade bist, achte darauf, dass nach dem sogenannten PREEMPT Schema und 155 bis 195 Einheiten (oder eben 150 bis 200 Einheiten) verspritzt werden. Leider gibt es auch keine Liste, in der man einfach nachgucken kann, wer die Behandlung anbietet. Man muss sich tatsächlich durchfragen.

Mir wurden jedenfalls Anfang Dezember das erste Mal 150 Einheiten Botox gespritzt, weitestgehend nach dem vorgegebenen Schema. Lediglich die Punkte an den Schultern wurden weggelassen, da es dort nach den Erfahrungen meines Arztes oft zu unerwünschten Nebenwirkungen kommt, eine gute Wirkung sich aber auch ohne diese Partien erzielen lässt.

Am Tag der Behandlung hatte ich natürlich eine mittelschwere Migräne. Ich müsste lügen, wenn ich sagen würde, die Behandlung wäre ein Klacks gewesen. Aber ich bin weder in Ohnmacht gefallen noch hatte ich anschließend die Migräne meines Lebens. Eher im Gegenteil, ich habe schon öfter die Erfahrung gemacht, dass sich durch einen stärkeren Gegenreiz die Migräne bei mir verkrümelt und so war es auch nach der Botoxbehandlung. Ich bin im Grunde genommen mit Migräne rein und eine halbe Stunde später ohne Migräne wieder raus.

Den Rest des Tages war ich trotzdem etwas mitgenommen. Die Stirn war leicht angeschwollen und die Einstichstellen am Hinterkopf haben ziemlich gezwiebelt. Besonders als ich abends dann im Bett darauf lag. Den nächsten Tag hatte ich Kopfschmerzen und am übernächsten Tag grippeähnliche Symptome. Ich war müde, schlapp und hatte leichte Gliederschmerzen. Das war es dann aber auch mit unerwünschten Nebenwirkungen. Ich hatte kein hängendes Augenlid und auch keine großen Einschränkungen in der Mimik. Das war zugegeben meine größte Sorge, denn ein typisches Botoxgesicht (Betonstirn lässt grüßen) möchte ich nun wirklich nicht haben.

Die positiven Auswirkungen auf die Migräne sollen sich etwa nach zwei Wochen einstellen. Leider bin ich genau nach den zwei Wochen in einen MÜK (ich berichtete) gerutscht. Die Attacken nahmen also noch zu und ich war bis Anfang Februar damit beschäftigt, den MÜK wieder loszuwerden. Die Attackenfrequenz, die sich dann zeigte, war allerdings nicht anders, als vor der Botoxbehandlung. Zudem lies die Wirkung zu diesem Zeitpunkt auch schon nach. Meine Stirn, die die ganze Zeit glatt und zudem frei von jeglichen Pickeln war, fing nämlich wieder an ein paar Fältchen und Unreinheiten zu produzieren.

Die Enttäuschung über eine erfolglose Prophylaxe ist bei mir immer groß, selbst wenn ich mir vornehme gerade nicht zu viel Hoffnung darein zu legen. Mein Neurologe meinte aber, nachdem ich 12 Wochen später wieder bei ihm saß, wir sollten noch einen zweiten Versuch machen. Es gäbe auch Menschen, die erst dann auf die Behandlung ansprächen. Zudem ließe der MÜK nicht wirklich eine Beurteilung über die Wirksamkeit zu.

Also bin ich Anfang März zur zweiten Botoxparty angetreten. Dieses Mal mit den vollen 200 Einheiten. Ich bin wieder mit Migräne zu dem Termin gegangen und ohne nach Hause. Im Gegensatz zum letzten mal wurden auch die Punkte im Schulterbereich mitgespritzt und das hat mir dann auch tatsächlich Probleme gemacht. Ich hatte dort zwei Wochen lang Verspannungen, die sich nach heftigen Muskelkater angefühlt haben. Ich konnte meine Schultern kaum bewegen. Zum Glück hat sich das aber dann wieder gelegt. Dazu kamen abends wieder die Schmerzen an den Einstichstellen am Hinterkopf. Nach 10 Tagen stellte sich ein leichter Schwindel ein und ich war schon optimistisch, dass es die beginnende Wirkung einläutet. Leider muss ich jetzt sechs Wochen später und mit Blick auf meinen Kopfschmerzkalender sagen, dass sich weiterhin nicht viel an meinem Beschwerdebild geändert hat. Möglicherweise fällt die Attackenintensität gelegentlich etwas schwächer aus. Das kann aber auch Zufall sein und rechtfertigt eine 800 Euro Behandlung bei Weitem nicht.

Ich hatte mir wirklich gewünscht, dass Botox die Lösung für mich ist, denn die Behandlung ist seit 2011 zugelassen, erprobt und auch für die Langzeitanwendung geeignet. Und das Wichtigste für mich, es macht nicht blöd im Kopf und müde, wie alles andere, was ich vorher probiert habe.

Da nun erst mal alle gängigen Prophylaxeversuche bei mir gescheitert sind, wäre wahrscheinlich der Weg zur Antikörperspritze demnächst frei. Aber ehrlich gesagt bin ich deswegen momentan nicht so euphorisch wie letzten Herbst noch, als die CGRP-Antikörper noch als Wundermittel ohne nennenswerten Nebenwirkungen durch die Medien getrieben wurden, wie die Sau durchs Dorf. Auch wenn es die sogenannten “Superresponder” gibt, mehren sich die Berichte über Nebenwirkungen, die ich lieber nicht haben möchte. Von Angstzuständen bis Herzrhythmusstörungen ist alles dabei. Wie sich das Medikament in der Langzeitanwendung darüber hinaus verhält, weiß niemand.

Leider ist die nächste Prophylaxe aber auch die letzte Chance, mich wieder arbeitsfähig zu machen, bevor ich in die Mühle der “Diensttauglichkeitsüberprüfung” durch Krankenkasse und Arbeitgeber gerate. Ob dies das Risiko wert ist mir meine Gesundheit ggf. noch mehr zu ruinieren, habe ich noch nicht abschließend für mich entschieden.

Falls du aber gerade vor der Entscheidung stehst, ob Botox eine Option ist, hoffe ich, mit diesem Artikel die Ängste ein wenig nehmen zu können. Die Behandlung ist unangenehm aber auszuhalten, die Nebenwirkungen überschaubar und nur temporär. Zudem gibt es durchaus die Chance bei chronischer Migräne die Attackenzahl zu halbieren.

Wenn du von deinen eigenen Erfahrungen berichten möchtest oder noch Fragen hast, schreib mir gerne.

 

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