Schwerbehinderung bei Migräne

Ich habe bei Instagram vor einiger Zeit gefragt, welches Thema für meine Leser*innen interessant ist. Dabei haben sich viele für das Thema Schwerbehinderung ausgesprochen. Dieser Artikel soll nun also ein wenig Licht in den Bürokratiedschungel zum Thema Behindertengrad bei Migräne zu bringen.

Am Anfang dieses Artikels steht wie immer ein Disclaimer. Ich habe versucht, nach besten Wissen und Gewissen Informationen zusammen zu tragen. Zum Teil kann ich dabei auch aus eigener Erfahrung sprechen. Ich habe beruflich mit Gesetzestexten und deren richtiger Auslegung zu tun (wenn auch in einem ganz anderen Bereich) und deswegen fällt es mir nicht so schwer, mich in eigentlich eher dröge Themen reinzufuchsen. Außerdem habe ich während meines Studiums BAföG bezogen und wer schon mal den Antrag dazu ausgefüllt hat weiß: Wer das schafft, kann alles beantragen.

Da sich für mich die FAQ Form schon bei dem Artikel über Triptane recht gut bewährt hat, habe ich mich auch bei diesen Beitrag für dieses Format entschieden.

1. Warum lohnt es sich überhaupt eine (Schwer-)Behinderung zu beantragen?

Zunächst einmal gilt, wer häufig unter schweren Migräneattacken mit Begleitsymptomen leidet, der/ dem steht ein Behindertengrad zu.

Ich habe schon häufiger gehört, dass viele sich scheuen einen entsprechenden Antrag zu stellen, weil sie sich mit diesem “Label” noch viel kränker und abgeschnitten von der “normalen Welt” fühlen. Mir ging das erst mal auch so. Was man sich aber klarmachen muss, ist, dass diese Erkrankung auch Kosten (z. B. für Medikamente oder Zuzahlungen im Krankenhaus) mit sich bringt und durch die Anerkennung eines Behindertengrades kann bei der Steuer, je nach Grad der Behinderung (GdB), ein Pauschbetrag für Behandlungs- und Medikamentenkosten angesetzt werden. Und zwar ohne, dass Quittungen gesammelt werden müssen. Darüber hinaus wird alles, was oberhalb dieses Pauschbetrags noch anfällt, zusätzlich berücksichtigt.

Mach dir also bitte einmal klar: Du hast eine chronische Erkrankung für die du nichts kannst, du hast einen finanziellen Mehraufwand wegen deiner Beeinträchtigung und dafür räumt der Staat dir einen Ausgleich ein, da du Gesunden gegenüber benachteiligt bist. Man (ich, du, ihr, sie) wäre ja schön blöd das einfach verfallen zu lassen.

Ein weiterer Grund für die Feststellung eines GdB ist der höhere Arbeitnehmer*innenschutz gegenüber der Arbeitgeber*in. Im Detail werde ich darauf in einem einzelnen Punkt eingehen.

2. Wie hoch ist der Grad der Behinderung bei Migräne?

Der Grad der Behinderung richtet sich nach Häufigkeit und Dauer der Anfälle und Ausprägung der Begleiterscheinungen wie vegetative Störungen und anderen “Effekten”. Im Detail sieht das folgendermaßen aus:

Beschreibung GdB
leichte Verlaufsform
(Anfälle durchschnittlich
einmal monatlich)

0-10

mittelgradige Verlaufsform
(häufigere Anfälle, jeweils einen
oder mehrere Tage anhaltend)

20-40

schwere Verlaufsform
(langdauernde Anfälle mit stark
ausgeprägten Begleiterscheinungen,
Anfallspausen von nur wenigen Tagen)

50-60

Ab einem GdB von 50 gilt man als Schwerbehindert.

3. Wie wirkt sich der GdB auf den Kündigungsschutz aus?

Ab einem GdB von 50, also sobald eine Schwerbehinderung vorliegt, gilt ein erhöhter Kündigungsschutz. Konkret bedeutet dies, dass das Integrationsamt der Kündigung zustimmen muss. Voraussetzung hierfür ist, dass die Arbeitnehmer*in 6 Monate im Betrieb beschäftigt ist und deren Schwerbehinderung der Arbeitgeber*in zum Zeitpunkt der Kündigung bekannt ist. Natürlich gibt es hier noch diverse Sonderfälle, so tief möchte ich an der Stelle allerdings jetzt mal nicht einsteigen.

Zusätzlich stehen einem als Schwerbehindert*e zusätzlich 5 bezahlte Urlaubstage zu und Mehrarbeit (also Überstunden) können verweigert werden.

Auch im Falle einer Neueinstellung wirkt sich die Schwerbehinderung auf den Bewerbungsprozess aus. Grundsätzlich ist man nicht verpflichtet der Arbeitgeber*in einen Behintertengrad mitzuteilen und sollte individuell entschieden werden. Hier ist zu empfehlen sich über die Vor- und Nachteile eingehend beraten lassen.

Ab einem GdB von 30 kann man übrigens im Falle, dass die Erkrankung den Arbeitsplatz bedroht, eine sogenannte “Gleichstellung” bei der Agentur für Arbeit beantragen. Dann gilt der gleiche erhöhte Kündigungsschutz wie bei einer Schwerbehinderug. Auf die Urlaubstage und Überstundenregelung wirkt sich dies jedoch nicht aus.

4. Wie und wo beantrage ich den GdB?

Der Antrag auf Grad der Behinderung ist bei den Versorgungsämtern zu stellen. In manchen Bundesländern gibt es zentrale Versorgungsämter. In anderen Bundesländern übernehmen kommunale Ämter diese Aufgaben. In den Kommunen heißen die Ämter meistens “Amt für soziale Angelegenheiten”. Eine Suchmaschinenabfrage mit den Schlagwörtern “Schwerbehinderung, Stadt XY, Antrag” spürt in der Regel die Antragsformulare direkt auf. Zum Teil kann man den Antrag auch online ausfüllen, muss ihn aber dann trotzdem noch ausdrucken und unterschrieben einreichen.

Was den Antrag an sich betrifft, sage ich immer: Keine Angst vor Formularen!

Wer sich trotzdem überfordert beim Ausfüllen fühlt, holt sich am besten Hilfe (ja ich weiß, als Migräniker*in um Hilfe zu bitten, ist so ein Thema für sich). Das kann jemand aus dem Familien- oder Freundeskreis sein, die Anwält*in des Vertrauens oder beim Sozialverband VdK Deutschland e. V. (zum VdK gehts hier: klick!) oder Sozialverband Deutschland e. V. (zum SoVD gehts hier: klick!).

Sowohl der VdK als auch der SoVD beraten, unterstützten und vertreten ihre Mitglieder für relativ kleines Geld in allen Belangen rund ums Sozialrecht. In nahezu jeder Stadt gibt es dazu Ansprechpartner*innen. Der Mitgliederbeitrag liegt bei um die 60 Euro im Jahr und kann (man ahnt es) auch wieder von der Steuer abgesetzt werden. Wer keine Rechtsschutzversicherung hat und sich keine Anwält*in leisten kann oder will, ist hier an der richtigen Stelle. Spätestens dann wenn sich abzeichnet, dass die Arbeitsfähigkeit dauerhaft eingeschränkt ist und es in Richtung (Teil-)Erwerbsminderungsrente gehen könnte.

5. Was muss im Antrag angegeben werden?

Neben den persönlichen Daten listet man alle seine Erkrankungen und die behandelnden Ärzt*innen (der letzten zwei Jahre) auf. Mit dem Antrag entbindet man diese von der Schweigepflicht. Die Ärzt*innen werden dann vom Versorgungsamt angeschrieben und zur Stellungnahme aufgefordert.

Bei der Auflistung sollte man wirklich an ALLE Erkrankungen denken, die bisher irgendwo festgestellt worden sind. Auch wenn aufgrund der Migräne zusätzlich eine Depression und/ oder Angsterkrankung vorliegt gehört das unbedingt mit rein. Zudem lohnt es sich auf etwa einer Seite die einschränkenden Auswirkungen der Migräne (und der anderen Erkrankungen) auf den Alltag zu schildern.

Wenn relevante Arzt- oder Klinikberichte noch NICHT den behandelnden Ärzti*nnen vorliegen, sollten diese ebenfalls dem Antrag beigefügt werden.

6. Was tun, wenn der festgesetzte GdB zu niedrig erscheint?

Jetzt hat man drei Monate auf die Entscheidung des Versorgungsamts gewartet und der festgesetzte GdB erscheint zu niedrig. Bei Menschen mit chronischer Migräne habe ich schon von Einstufungen zwischen 20 und 60  gehört.

Um auch mal von mir zu sprechen: In meinem Fall wurden die Migräne und deren psychische Auswirkungen mit 30  festgesetzt. Ich war mir ehrlich gesagt unsicher, ob ich das so akzeptieren soll und habe deswegen mit meinem Neurologen Rücksprache gehalten, wie er die Schwere der Erkrankung bei mir sieht. Er sagte mir dann, er halte die 30 für zu wenig und ich solle Widerspruch einlegen. Zudem bot er mir an, mir ein Attest auszustellen und die Beeinträchtigung noch einmal zu schildern. Ein solches Attest kostet in der Regel ein paar Euro. Ich glaube, ich habe 15 Euro dafür bezahlt (auch hier wieder an die nächste Steuerklärung denken!).

7. Wie lege ich Widerspruch gegen einen Bescheid ein?

Nach Zugang des Schreibens hat man 4 Wochen die Möglichkeit Widerspruch einzulegen. Zusätzlich kann man Akteneinsicht beantragen um sich anzuschauen, welche Unterlagen bei der Prüfung herangezogen worden sind. Sowohl die Akteneinsicht als auch der Widerspruch müssen schriftlich eingereicht werden.

Auf eine Akteneinsicht habe ich in meinem Fall verzichtet, weil ich von meinem Neurologen schon wusste, dass er schriftlich zur Stellungnahme aufgefordert worden ist. Das ist übrigens nicht selbstverständlich. Ich habe schon von einem Bekannten mit Neuropathischen Schmerzen gehört, dass sein Neurologe überhaupt nicht angeschrieben worden ist.

Das Widerspruchsschreiben ist formlos. Man kann also frei formulieren, dass man den festgesetzten GdB für zu niedrig hält und um eine erneute Prüfung des Falls bitten. Wichtig noch bei so einem Schreiben ist IMMER das Aktenzeichen anzugeben, damit eine Zuordnung erfolgen kann. Ich habe in meinem Schreiben zusätzlich noch einmal geschildert, inwiefern mich meine Erkrankung einschränkt und das Attest meines Neurologen beigefügt.

Beispiele für Widerspruchsschreiben findet man ebenfalls im Internet.

8. Was passiert nach dem Widerspruch?

Das Widerspruchsverfahren kann nun folgendermaßen ausgehen.

a) Man wartete wieder einige Monate und irgendwann kommt ein neuer Bescheid mit einem höheren Behinderungsgrad, der den eigenen Vorstellungen entspricht (jej!). Ende des Verfahrens.

b) Nach einigen Monaten Wartezeit erhält man die Aufforderung, sich bei einer externen Gutachter*in vorzustellen, die/ der den Behinderungsgrad feststellen soll  (wie in meinem Fall).

c) Der Bescheid kommt und es wurde entweder kein anderer GdB festgesetzt oder einer, der den Vorstellungen weiterhin nicht entspricht (nej!).

9. Was kann ich tun, wenn ich auch im Widerspruchsverfahren nicht zu meinem Recht gekommen bin?

Hier ergeben sich auch wieder mehrere Szenarien.

a) Man gibt auf.

b) Man gibt erst mal auf und nimmt von der Möglichkeit Gebrauch, ein Jahr nach Antragsstellung einen Verschlimmerungsantrag zu stellen, der das ganze Verfahren wieder aufrollt.

c) Man klagt und geht vors Sozialgericht. Für die erste Instanz braucht man übrigens KEINEN Anwalt und kann sich selber vertreten. Ich würde allerdings raten, sich für eine Klage Unterstützung beim SoVD oder dem VdK zu suchen.

Soweit, so umfangreich. Bei weiteren Fragen, Anmerkungen oder groben Schnitzern meinerseits, nimm gerne Kontakt mit mir auf.

 

Update Dezember 2019

Vor wenigen Tagen habe ich den Bescheid erhalten, dass mein Widerspruch gegen den GdB von 30 berechtigt war und mir wurde ein GdB von 50 zunächst für die Dauer von 5 Jahren anerkannt.

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