Ein Jahr mit Krankenschein

Gerade jährt sich meine Krankschreibung wegen Migräne. Möglicherweise ein guter Zeitpunkt, um einmal zurückzublicken.

Vor ein paar Wochen lag mir das erste Jubiläum meines Totalausfalls ziemlich schwer im Magen. Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal so krank werden könnte, dass ich so lange krankgeschrieben werden muss. Schon gar nicht wegen Migräne. Dass es Krankheiten gibt, die einen zwar nicht wegraffen, das Leben aber trotzdem zum Stillstand bringen, hatte ich wirklich nicht auf dem Schirm.

Nun ereilte mich das Ganze ja auch recht überraschend und rückblickend betrachtet war vermutlich genau das das Problem. Ich hatte das alles erst nicht kommen sehen, als ich es dann sah verdrängt, als es sich nicht mehr verdrängen ließ verleugnet und dann war es zu spät den Zusammenbruch zu verhindern.

Ich würde an dieser Stelle jetzt gerne berichten, wie unheimlich weiser ich im letzten Jahr geworden bin und wie ich mich selber aus der Scheiße gezogen habe. Aber bis vor kurzem noch lag ich weiterhin drei bis vier Tage in der Woche mit Migräne im Bett und zwischen den Attacken kam ich auch nicht mehr richtig in die Gänge.

Die völlig unromantische Wahrheit ist also, dass der Grund für meinen neuen, zarten Antrieb „Serotoninwiederaufnahmehemmer“ heißt. Leider leben wir ja immer noch in einer Gesellschaft, wo man sowas nur hinter vorgehaltener Hand erwähnt, weil man sonst als komplett bekloppt und gescheitert gilt. Gescheitert vor allem, weil man es eben nicht selber mit „Persönlichkeitsentwicklung und Yoga“ geschafft hat. Aber ich möchte doch nicht unerwähnt lassen, dass ein Antidepressivum innerhalb von vier Wochen wieder einen Menschen aus mir gemacht hat, der morgens nicht mehr zwei Stunden braucht, um aus dem Bett zu kommen.

Angst vor Tomaten

Nachdem ich letztes Jahr noch Nahrungsmittel aus meinem Speiseplan gestrichen hatte (man weiß ja nie ob Zucker, Koffein, Gluten und Histamin nicht doch ganz plötzlich hinter der Migräneserie stecken), esse ich mittlerweile wirklich komplett wieder wie früher. Morgens gibt es meine geliebte Tasse Schwarztee, mittags Tomatensalat und Cola, nachmittags Schokoladenkuchen und abends Weißbrot mit uralten Käse (ich übertreibe, das ist hoffentlich klar). Einzig vom Alkohol jeglicher Art lasse ich weiterhin die Finger. Damit kann ich aber ganz prima leben.

Womit ich dagegen definitiv nicht mehr leben möchte, ist unnötiger Verzicht auf Lebensmittel, die mir gut schmecken. Denn die Migräne selbst ist ja schon Einschränkung genug. Ich habe neulich wieder gelesen, dass ein eindeutiger Zusammenhang zwischen bestimmten Lebensmitteln und Migräneattacken niemals nachgewiesen werden konnte. Eigentlich verwunderlich, dass sich die ganzen Gerüchte über diese oder jene Superernährung bei Migräne trotzdem noch halten. Auch übrigens wieder ein Beispiel dafür, dass man nur lange genug irgendwas behaupten muss, bis sich jemand findet, die oder der das glaubt. Bei mir selber hat sich durch Ernährungsumstellung in die eine und andere Richtung jedenfalls wirklich nichts verändert.

Das Ende der Triggersuche

Die wahrscheinlich beste Erkenntnis, die ich im Laufe des letzten Jahres hatte war, dass die Vermeidung von Triggern bei 20 bis 25 Migränetagen im Monat komplett ins leere läuft. Denn seien wir mal ehrlich, bei so viel Migräne müsste atmen schon ein Trigger für mein Gehirn sein. Was erschwerend hinzukommt ist, dass ich auch noch permanent ein schlechtes Gewissen hatte, wenn trotz Schonhaltung doch die nächste Attacke anrollte. Es wird einem ja auch ständig erzählt, dass man nur „seine“ Trigger herausfinden und vermeiden muss und schon läuft es wieder rund in der Birne.

In Wirklichkeit ist aber selten nur ein einziger Auslösefaktor für eine Migräneattacke verantwortlich. Es handelt sich vielmehr um eine Anhäufung von mehreren Dingen und was man dann damit in Zusammenhang bringt, ist meistens der letzte Tropfen, der dann das Fass zum überlaufen gebracht hat.

Diese Erkenntnis war tatsächlich eine Art Befreiungsschlag für mich und hat mir ganz viel Stress genommen.

Ohne Medikamente geht es nicht

Womit ich mir lange selbst im Weg stand war meine Einstellung zu Medikamenten. Ich komme aus einem Umfeld, wo der Griff zur Schmerztablette eher verpönt als akzeptiert wird und man noch mit Kopf unterm Arm zur Arbeit geht. Ich möchte hier auf keinen Fall einen wahllosen Medikamenteneinsatz propagieren. Wenn ich aber eine Kopfschmerzerkrankung meines Ausmaßes habe, komme ich mit einer Ibu 400 einmal im Monat vermutlich nicht aus. Das gilt für Medikamente zur Akutbehandlung der Migräne als auch für eine Prophylaxe.

Geholfen hat mir der Vergleich mit Diabetes. Ein(e) Diabetiker*in kann auch nicht auf Insulin verzichten, weil gesunde Menschen das ja nicht brauchen. Ich habe also für mich akzeptiert, dass es momentan nicht ohne (wohlüberlegte) Medikation geht und der Vergleich mit Nicht-Migräniker*innen gezwungenermaßen hinkt.

Und noch immer die Suche nach der passenden Prophylaxe

Nachdem 6 Monate Botoxprophylaxe nicht den erhofften Erfolg brachten, habe ich Anfang Juni das erste Mal Aimovig gespritzt. Mit sehr gemischten Gefühlen. Drei Monate vorher war mir das Risiko aufgrund der fehlenden Langzeiterfahrungen noch zu groß erschienen.

Dementsprechend sind mir in den ersten zwei Wochen nach der Injektion auch die Nerven ein bisschen durchgegangen. Denn ist das Medikament erst einmal im Körper, braucht es 28 Tage, bis es zur Hälfte abgebaut ist. Das Gleiche gilt natürlich für unvorhersehbare Nebenwirkungen.

Ich hatte mir natürlich erhofft zu den (wenigen) Superresponder*innen zu gehören (eine Freundin wollte mir für den Fall schon ein T-Shirt bedrucken lassen, das wäre vielleicht cool gewesen). Als ich am Tag nach der Injektion dann mit rasenden Kopfschmerzen (was für mich durchaus untypisch ist), anstatt mit glasklaren Kopf aufwachte, waren die Enttäuschung und mein inneres Drama natürlich groß. Auch als sich im ersten Monat an der Migräne nichts geändert hat. Nach der zweiten Spritze war mir dann zwei Wochen lang permanent übel.

Zum jetzigen Zeitpunkt sind sieben Wochen mit Aimovig um und zumindest die Attackenintensität und auch mein Triptanbedarf haben in den letzten zwei Wochen definitiv abgenommen. Auf einen ganzen schmerzfreien Tag warte ich aber weiterhin vergeblich. Vielleicht verbessert sich die Wirkung aber auch noch nach der dritten Spritze.

Zusammen ist man weniger allein

Ich habe im letzten Jahr, vor allem durch das Internet, Frauen und Männer kennengelernt, die wie ich so sehr an einer chronischen (Schmerz-) Erkrankung leiden, dass ihr Leben dadurch stark eingeschränkt ist. Aus einer dieser Bekanntschaften ist mittlerweile sogar eine echte Herzensfreundschaft geworden (Hallo Nina!). Deswegen mein Rat an jede*n da draußen, der oder die sich einsam und abgehängt von der “normalen” Welt fühlt: Sucht euch Anschluss an ebenfalls Betroffene und sei es auf Social Media (hier geht es zu meinem Instagram Profil, wenn du magst). Wem das Internet nicht so liegt, ist vielleicht bei einer Selbsthilfegruppe in der Nähe gut aufgehoben (Adressen gibt hier bei der Migräneliga).

Aber auch meine Freund*innen sind weiter für mich da und ich lerne immer mehr, dass es ok ist, um Hilfe zu bitten und sie mir die Treue halten, auch wenn ich das dritte mal eine Verabredung verschieben muss. Jetzt bin ich doch glatt ein bisschen sentimental geworden zum Ende dieses Beitrags.

Wie geht es weiter?

Da Timing ja irgendwie schon immer meine Stärke war, habe ich jetzt nach über 6 Monaten Wartezeit endlich einen Platz in der Kopfschmerzklinik in Kiel. Ich freue mich wirklich sehr jetzt dort hinfahren zu können. Da Aimovig bisher ja nicht der absolute Knaller ist, könnte der Zeitpunkt also gerade nicht besser sein.

Weiter geht meine Planung momentan erst mal nicht. Denn wenn ich noch etwas im letzten Jahr gelernt habe, dann dass ich besser nur in kleinen Etappen denke, wenn ich abends eh nicht weiß, wie es mir am nächsten Tag gehen wird.

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